
Hier der zweite Teil des Audio zum Kulturrückblick für ENSUITE – NACHZULESEN UND ZU BESTAUNEN MIT EIGENEN BILDERN SIEHE www.ensuite.che

Juli: Islamistische Barbaren avant la lettre
Ich habe die Islamistischen Barbaren erlebt. Damals waren es die Revolutionären Garden der Französischen Revolution, die eine der wichtigsten Städe des Mittelalters in die Luft gejagt haben. Haben Sie schon mal von Cluny gehört? Nicht? Dabei war Cluny für Europa fast ebenso wichtig wie das untergegangene Römische Reich, dessen Kunst und Kultur von den neuen christlichen Herrschern ebenso vernichtet wurden wie ein paar Jahrhunderte später die Bauwerke der Christen. Ikonoklastik nennt man dies: Die Zerstörung wichtiger zivilisatorischer Errungenschaften alter durch neue Herrscher.
Cluny, diese kleine Stadt im französischen Burgund, bildete den Kern des spirituellen Zentrum Europas im Mittelalter. Mit der Gründung der Benediktinerabtei im Jahr 910 begann eine Bewegung, die die katholische Kirche bis in die Neuzeit und die umliegende Natur bis heute prägt. Die Abtei von Cluny stand für strenge Ordensregeln, liturgische Pracht und die Unabhängigkeit vom weltlichen Einfluss – ein Modell für über 1.000 Klöster in ganz Europa. Im 12. Jahrhundert war Cluny das größte und reichste Kloster der Christenheit – der Niedergang setzte mit der Reformation ein und wurde vollbracht mit der brutalen Französischen Revolution. Die Revolutionäre wüteten in Cluny wie die Taliban mit den Buddha-Statuen. Vom ehemaligen Klostergelände bleiben nur noch ein paar eindrucksvolle Steine, Türme und Gebäude übrig. “The End of Everything” fasziniert mich seitdem: Zivilisationen, auf Stein gebaut, die dann einer neuen Ideologie weichen muss, die kein Stein mehr auf dem anderen lässt.
August: Die Leichtigkeit von Kunst im öffentlichen Raum
Louise Deininger stellte im Aux Gazelles in Wien aus – die Treppe zur Maria Hilferstrasse wurde mit Tüchern kuratiert, umwerfend schön, das Wetter spielte genial mit. Louise ist nicht nur eine grosse Künstlerin, sondern Aktivistin mit eigener Charity-Organisation Gyko, die alle unterstützen sollten, weil sie jungen Menschen in Norduganda mit einer eigenen Schule, Ausbildung und Zukunft ermöglicht. Deiningers farbstarke Gemälde aus Acryl, Elefantendung und Kaurimuscheln und eben dem “Wrap” gehört zu den Menschen, die Geschichte schreiben werden; mit ihrer Kunst und ihrer Persönlichkeit. Könnten wir täglich von KünstlerInnen lesen, hören und sehen, wie sie die Welt wahrnehmen, gestalten möchten und uns Menschen verbinden, ganz ehrlich? Wir wären eine glücklichere Welt, jenseits des traditionellen Kulturbetriebs.
September: “Träumen Algorithmen von der Demokratie?”
“Alle Weisheit dieser Welt ist schon ausgesprochen.” Am 26. September 2024 feierten wir die Vernissage des zauberhaften De Caro Verlags aus Einsiedeln. Ich durfte neben namhaften Autorinnen und Autoren über Hannah Arendt schreiben, hier eine kleine Leseprobe und die Aufforderung: Kauft doch das Buch. So unterstützen mich meine Fans am besten. LESEPROBE:
Wie schützen wir die Demokratie vor der Übermacht der Algorithmen? — Anleitung zur Öffentlichkeit nach Hannah Arendt
Von Regula Stämpfli
Oktober: PROPER LOVE im Belvedere
Wir hatten mal einen Amoako Boafo in unserem Wohnzimmer hängen; so wie die Familie Wittgenstein um die 1900 in Wien einen Gustav Klimt. Das Bild hat mein Leben bereichert und ich traure ihm auch Jahre nach dessen Verlust nach. Im Belvedere in Wien 2024 war die Eröffnung des Shootingstars Amoako Boafo.
November: Reform our Institutions or How Democracies fail
In der “Die Podcastin” von Isabel Rohner und Regula Stämpfli wird nicht nur sprechend gedacht oder denkend gesprochen, sondern es werden lauter neue Thesen, Theorien und Welterklärungen produziert. So auch kurz vor Jahresende in “Die Podcastin” – einem der weitreichensten Frauenpodcasts und einem Podcast, der sich endlich mal nicht um Frauenthemen wie Schminke, Psyche, Diät kümmert, sondern um Politik, Kultur, Wissenschaft, Zukunft und Kapital. Donald Trump wurde gewählt – wer “Die Podcastin” gehört hatte, war davon alles andere als überrascht. laStaempfli hat die Wahlanlyse zu Trump über das Jahr entwickelt, auch den Umstand, dass Trumps Aufstieg im Versagen der öffentlich-rechtlichen Institutionen und der codegetriebenen Medien liegt. Bitter wurde laStaempfli nur angesichts der internationalen Organisationen! Jahrzehntelang kämpfte sie für das internationale Völkerrecht, als junge Mutter wurde sie sogar zum IKRK eingeladen, musste da leider absagen – einer der grössten Fehler in ihrer Karriere. Und nun stellt sie fest: Die UNO wird von Diktaturen, Autokraten und der VR China manipuliert, von Genossen und Genossinnen zum Schrecken des Westens revolutioniert und huldigt totalitären Ideologien wie damals.
Dezember: Deutscher (Un)Kulturbetrieb
Was die ARD-Verantwortlichen bewogen hat, Thilo Mischke zum Nachfolger von Max Moor für ttt – titel, thesen, temperamente – zu ernennen, bleibt ein Rätsel. Nach ersten Kritiken zum “umstrittenen” Moderatoren, meinte die ARD am 27.12.2024 selbstverständlich: Wir freuen uns auf Mischkes “ttt”-Moderation und “seine Sicht auf Kultur.” Am 4.1.2025 wurde dann bekannt, dass die Freude kurzer Dauer war und Thilo Mischke “ttt” nun doch nicht moderieren darf.
Thilo Mischke ist Autor des 2010 publizierten Buches “In 80 Frauen um die Welt.” Sie haben richtig gelesen. Es ist “in 80 Frauen” – meaning, sich durch 80 Frauen vögeln, um dann hoffentlich die große Liebe zu finden. Es geht um eine Macho-Männerwette: Der Titelheld Thilo soll eine Weltreise machen und 80 Frauen zu verführen. Ist er erfolgreich, bezahlen die Freunde den Trip. Das Buch ist schnell geschrieben, der Typ ein Frauenfeind; im Tonfall, im Besitzanspruch, in der Haltung, dass Frauen keine Individuen, sondern als Gruppe fuckabel sind.
2010 war eine andere Zeit. Als ich von der “Pornografisierung des Alltags” schrieb, wurde ich vom Tagi-Magi und der damaligen Redakteurin Birgit Schmid, die sich aktuell in antifeministischen Texten bei der “NZZ am Sonntag” bei Altmännern beliebt zu machen versucht – oder war es nun “Die Weltwoche?”, egal, ich muss auch nicht immer alles richtig wissen, richtig, es ist die “NZZ am Sonntag”, also damals wurde ich von ihr als “prüde” geschimpft.
2010 war Analsex, Intimrasur, multiple Orgasmen durch Dildos (wie die Schwulen, die übrigens auch “Sex and the City” schrieben – unglaublich beliebt damals) omnithematisch in den Medien versudelt. Mischke konnte ja nicht ahnen, dass 15 Jahre später die Stimmung etwas anders ist: “Wie ein ständig erregter Playboy” notiert Mischke seine Beobachtungen, zugleich versucht er den seltsamen Spagat zwischen potentem Eroberer und Frauenversteher. “Du darfst eine Japanerin niemals in den Nacken küssen, wenn du sie nicht kennst. Das ist ungefähr so, als würdest du eine fremde Frau auf der Straße fragen: Na? Lust auf Analverkehr?” (Besprechung von Rollingstone 3.1.2025) Alles war damals auf Porno, Sex und Geschlechtsverkehr getrimmt – erst zehn Jahre später kommen dieselben Kulturfritzen, die damals derbe gelacht haben, darauf, dass dies vielleicht nicht immer so cool und links gelaufen ist, wie sie es damals interpretiert haben. Thilo Mischke ging 2012 dann noch: “Unter fremden Decken – Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt” für Pro Sieben auf Sendung. “Was hatte ich nicht für abstruse Ideen, wie ich untermauern könnte, dass ich Sex hatte. Von Lackmusstreifen, die ich in ein Buch einklebe, mit verschiedenen PH-Werten und Namen daneben, bis zu Excel Tabellen, die einen Körper so genau beschreiben, dass ich es mir nicht hätte ausdenken können. Ich wollte Fingerabdrücke nehmen, heimlich Nacktfotos machen, Tonbandaufnahmen vom jeweiligen Sex. Alles unpraktisch, alles viel zu grob, dachte ich immer.”
Unappetitlich, nicht wahr? Trotzdem dachte sich die ARD-Kulturleitung, die sonst bei allem “sexistisch, islamophob und hilfe, das hilft den Nazis” schreit auf die Idee, einen solchen Mann zu promoten? Ein Mann, der allen Ernstes in einem Podcast behauptet, der Urmensch sei ausgestorben, weil er “zu zärtlich zu Frauen gewesen sei” und der Homo sapiens stattdessen die Frauen vergewaltigt hätte. Überhaupt Vergewaltigung. Diese ist nach Thilo Mischke “urmännlich” und den Jungs leider nur durch die Zivilisation “abgewöhnt” worden.
Tja. Ich schreibe seit über 25 Jahren über die Pornografisierung der Welt. Als Antwort auf den im Schweizer Journalismus immer noch sehr satten Autoren XY (Namen verändert), der auch von Vergewaltigungsgenen und explodierenden Vulven schrieb, meinte ich schon damals sehr trocken: “Wenn der Penis nur noch tröpfeln kann.” Die biopolitische Sexualisierung und Privatisierung unserer westlichen Kulturen, die codiert auf Porno-Datenmaterial zurückgreifen, weil dies die ersten Daten waren, die in großen Mengen die Digitalisierung puschten, grassiert überall, wird nicht wirklich unter erwachsenen Frauen diskutiert, sondern in alten, linken Männerschemata von freiem Sex und prüder Mutter verhandelt. Das MUSS JA SCHIEF GEHEN.
Langer Suada der kurze Sinn: Lest endlich Frauen. Und zwar die, die nicht ständig über Sex, Depression, Kinder kriegen oder “wie Karriere als Frau machen”, schreiben, sondern die, die über alles und Grosses schreiben. Auf ein neues Jahr, möge das Alte endlich positiv überholt werden!